07:36 | Cornelia Harb

Ich liebe es sonntagmorgens, wenn die Stadt noch schlafen zu scheint.
Mein Blick schweift in die Ferne über die Dächer, die mit Nebel bedeckt sind. Am Horizont sind ganz leichte Umrisse zu sehen, die fast vollkommen vom Nebel ummantelt sind. Allmählich wandert mein Blick weg vom Horizont über die Dächer in mein näheres Umfeld. Verschiedene Nuancen des Nebels sind zu sehen. Je näher das Gebäude, desto klarer die Sicht. Ich drehe mich um & nehme den gestochen scharfen Umriss meines Nachbargebäudes wahr. Klare Sicht. Ich liebe es sonntagmorgens, wenn die Stadt noch schlafen zu scheint. Stille, Ruhe, Fokus. Doch ist es wirklich still? Vögel zwitschern aufgeregt, eine Straßenbahn ist zu hören, weiter weg Kirchenglocken, wenn man genau in die Stille hört, hat sie doch einiges zu erzählen. Immer wieder schweift mein Blick in die Ferne, immer wieder kann ich mehr entdecken. Details, die ich zuvor noch nie wahrgenommen habe. Mein Fokus wird stärker, mein Blick klarer. Allmählich sind die vom Nebel umhüllten Umrisse immer besser zu erkennen. Am Ende der Stunde ist am Horizont ganz klar ein Kirchturm zu sehen. Die Umrisse haben sich vom Nebel befreit, plötzlich ganz klar. Meine Wahrnehmungen an diesem morgen lassen sich mit dem heurigen Jahr vergleichen. Corona hat unsere Stadt in dichten Nebel gehüllt, gelähmt, die Weitsicht genommen und Stille hinterlassen. Meine persönliche Situation lähmt mich gerade zusätzlich. Ein gebrochener Fuß hindert mich die Wache am Schlossberg im Shelter abzuhalten. So sitze ich auf meiner Terrasse und auch wenn alles anders ist als gedacht, verspüre ich tiefe Dankbarkeit für diese wunderbare Stadt, die ich mein zuhause nennen darf. Vielleicht muss man manchmal Stille zulassen, den Fokus in der Nähe lassen, die Umgebung bewusst wahrnehmen, um dadurch wieder Weitsicht zu bekommen. Danke für die Teilnahme an diesem tollen Projekt