07:39 | Katharina Dirnbauer

So viele Gedanken! Graz, meine geliebte kleine Heimat und doch eine oft so unbekannte Fremde. Mit dem Uhrturm im Rücken durfte ich heute einen deiner Herzschläge lang über dich wachen. Die Krähen ziehen in der Dämmerung ihre Kreise. Ich stehe im Unterschlupf, einem heimeligen Nest, und darf auf dich hinabblicken. Ich darf einen Augenblick in das Leben deiner Bewohner schauen, einen Moment teilhaben – im Geheimen, ohne ihr Wissen und doch für alle sichtbar. Die Nacht liegt noch über dir und alles scheint fast wie immer: Autos, die sich durch deine Adern schieben, Menschen, die über den Hauptplatz zu ihren Arbeitsstätten strömen … Doch etwas ist anders als sonst: Einsam steht der Weihnachtsbaum auf dem Platz. Keine kleinen Standeln, keine Fressbuden, keine strahlende Festbeleuchtung der Umgebung, kein zu großes deplaziert wirkendes Riesenrad. Nur Leere. Wie ein Fremdkörper, als die Beleuchtung des Baumes plötzlich erlischt und trotzdem friedlich liegt alles da. Es ist kein opulenter Sonnenaufgang in den buntesten Tönen. Es ist einer deiner dir oft vorgeworfenen dunklen nebelliegen Starts in den neuen Tag. Hunderte Grautöne begrüßen mich an diesem Wintertag, auch wenn von der Sonne nichts zu sehen ist. Du bist eben eine Stadt der leisen Töne. Es war ein turbulentes Jahr. Ich habe so viele freundliche, respektvolle, hilfsbereite Seiten von dir gesehen, aber auch erschreckende, fremde, hasserfüllte, schockierende Aspekte deiner Menschen. Aber auch dies alles wird vorübergehen. Es wird zu vergangenen Erlebnissen. Geschichten an unsere Kinder & Enkelkinder, eine Mahnung aus grauer Vorzeit und schließlich zum ungeliebten Prüfungsstoff im Geschichtsunterricht kommender Generationen. Und zuletzt wird auch dies vorüberziehen und uns wird wie gerade in diesem Augenblick die Kleinheit unserer eigenen Existenz bewusst werden. Aber du, Graz, wirst dann noch immer da sein, die Krähen werden noch immer kreisen und mit dir den nächsten verhangenen Morgen begrüßen. Danke!