15:12 | Christian Ortner

Liebes Graz/Gradec!
Ich hab´ heute zum Sonnenuntergang von der slowenisch-österreichischen Grenze gewacht. Ich war am Aussichtsturm am Plački Vrh/Platschberg. Mit der Sonne unter- ist der Mond aufgegangen. Aus der Mitte der Untersteiermark hab´ ich gewacht, vom Plač – dem alten Pass am wichtigsten Weg von Graz nach Maribor von Römerzeiten her. Du hast Deinen Namen vom Slawischen her für die ehemals große Burg, die Du jetzt nicht mehr hast. Ich wache von der unseligen Grenze, die vor noch nicht 100 Jahren ein Land teilte/zerschnitt, das vorher 1000ende Jahre vereint war, eins war. Wo beiderseits slowenisch & deutsch gesprochen wurde; und was weiß ich welche Sprachen davor schon. Dankbar denke ich an den Herbst vor 34 Jahren wo Du mich mit offenen Armen empfangen und mich seither nicht mehr ganz losgelassen hast. Hier durfte ich studieren und ein inspirierendes Umfeld genießen. Hier hab´ ich schöne und schwere Zeiten erlebt – die schönen haben deutlich mehr gewogen. Hier hab´ ich meine Frau und Arbeit und Wohnung gefunden. Zwei meiner Kinder sind hier geboren – eines noch in der alten Heimat in Kärnten. Alle drei sind hier zur Schule gegangen – in durchwegs gute Schulen; ambitionierte Projekte von aufgeschlossenen Menschen. Ich hab´ mich gefragt was ich Dir zurückgebe – da ist mein Einsatz für ein gutes Miteinander in der unmittelbaren Umgebung. Und mein ehrenamtliches und berufliches Engagement – beides dient den Menschen dieser Stadt. Von meinem Platz aus hab´ ich auch Dein Umland gesehen. Hier wird das Futter für die Tiere angebaut, deren Fleisch und Käse Du ißt. Und das Korn für Dein Brot und das Gemüse. Und die Trauben für den Wein den Du trinkst. Du bist ohne Untersteiermark schwer denkbar – und ohne den Norden, Osten und Westen auch nicht, aber da sehe ich nicht hin. Ich hatte das klare Bild eines großen pulsierenden Organismus mit Dir als Zentrum und in permanentem Austausch und gegenseitiger Befruchtung.
Ich denke an die vielen Menschen, die nach Graz/Gradec kommen – täglich zur Arbeit, für eine Woche auf Urlaub, für ein paar Jahre zum Studium. Manche bleiben für immer, andere ziehen weiter. Zwei meiner Kinder sind auch schon weitergezogen. Vielleicht ziehe ich auch weiter – wer weiß? Es war schön heute für Dich / über Dich gewacht zu haben und Dankbarkeit zu spüren für die Zeit in der Du mir Heimat gegeben hast.
Mach´s gut! Lieben Gruß / lep pozdrav,

© BegleiterInnenfoto: Rachel Bailey