07:24 | Ludwig Sik

Bei klirrender Kälte (minus 6 Grad) wandere ich auf den Schlossberg. Vereinzelt treffe ich Menschen, die vorwiegend mit ihren Hunden unterwegs sind. Ein Virus, die Unvernunft der Bevölkerung und die Planlosigkeit der Regierung haben uns einen 2.ZELLENARREST (wörtliche Übersetzung von “Lockdown”) beschert und daher ist das “Shelter” vorübergehend geschlossen. Von meinem Platz daneben habe ich einen perfekten Blick auf die Stadt. Markant stechen die dampfenden Schornsteine des Heizkraftwerks und des Stahlwerks hervor und erinnern sichtbar an die problematische Luftsituation in der Feinstadt-Hauptstadt Österreichs, die völlig aus dem Blickpunkt der Öffentlichkeit verschwunden ist. Ein neuer Stadtteil entsteht in unmittelbarer Nähe des Stahlwerks. Die “Grazer Schule” gehörte im 20. Jahrhundert zu den bekanntesten Phänomenen der österreichischen Architektur. Davon ist in der aktuellen Stadtentwicklung nichts mehr übrig geblieben. Es wird “Betongold” geschürft und dabei stellt gute Architektur für Investoren scheinbar ein Hindernis dar. Der Vollmond verschwindet hinter der Ruine Gösting und vis a vis taucht eine orange Sonne auf. Am Hauptplatz wird schon emsig am Dach des Rathauses gearbeitet. Auch beim neuen Krankenhaus der Barmherzigen Brüder haben Arbeiter trotz der grimmigen Kälte ihr Tagwerk begonnen. Die Sonne gibt mittlerweile ein wunderbares Licht. Trotz der weiterhin frostigen Temperatur ist es ein besonderes Erlebnis, die Stadt um diese Zeit von oben zu betrachten. Das Fehlen der Adventbuden macht mir bewusst, dass uns eventuell eine stillere Vorweihnachtszeit bevorsteht. Vielleicht warten heuer viele Menschen eher auf die Ankunft einer wirkungsvollen Bekämpfung der Corona-Pandemie als auf das Weihnachtsfest.

© BegleiterInnenfoto: Katharina Sherpa-Koller