15:12 | Gudrun Zollneritsch

Ich habe mir einen ganz besonders schönen Aussichtspunkt ausgesucht. Im Norden von Graz hat man vom Kalkleiten Möstl einen wundervollen Blick auf die Stadt. An diesem Nachmittag im Dezember habe ich den Eindruck eine kleine beschauliche Siedlung liegt mir zu Füßen, keine große Stadt: Graz eingetaucht in eine graue Nebeldecke, undurchsichtig und verborgen. Je weiter mein Blick in die Ferne schweift, umso mehr lösen sich Konturen und Formen auf. Irgendwann verliert man sich in einem dichten hellen Grau. Es ist still und doch nicht still. Eine zarte Schneedecke hat alles eingehüllt. Ich höre die Stadt, ein gedämpftes Hallen. Was bedeutet mir Graz? Graz ist meine Heimatstadt, aber mein Verhältnis ist ambivalent. Graz ist schön und hässlich, Graz ist lebendig und dumpf, Graz ist selbstgefällig und kritisch, Graz ist verschlafen und wach. Graz zeigt Widerstandsgeist und rebelliert, aber Graz schweigt auch und ignoriert. Graz ist wie das Leben und ich werde nicht aufgeben die Seite zu nähren, die mir wichtig ist. Meine Gedanken kreisen um diese Widersprüchlichkeiten. Inzwischen ist mein Ausblick noch kontrastloser, verschwommener, die wenige Helle ist gewichen. Erste Lichter blitzen auf. Ein Gefühl der Versöhnung taucht auf, ich weiß, es lässt sich nicht festhalten, aber es existiert und es gibt Zuversicht. Danke für diesen Impuls der Besinnung!

© BegleiterInnenfoto: Katharina Sherpa-Koller